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Toleranz

06.07.2007

Ein Artikel auf spiegel.de von Henryk M. Broder (ja, ich weiß, genau der) läuft unter der Überschrift „Toleranz hilft nur den Rücksichtslosen“.

Toleranz ist ja mittlerweile eins dieser sehr emotionsgeladenen Worte, fast so schlimm wie Feminismus oder Terrorgefahr – das verursacht bei vielen ein ähnliches Stöhnen und Augenrollen, weil es einfach als Totschlag-Argument benutzt wird.

Und als Trekkie bekommt man bei dem Wort sowieso Schüttelfrost, da hat der Begriff „Toleranz“ einen ähnlichen Wert wie „Nazi“ für Godwins Law – wenn bei einer Diskussion in einem Star Trek Forum o.ä. das „wir als Star Trek Fans sollten doch tolerant sein“ kommt (und es kommt, IMMER, wie das Amen in der Kirche), ist die Diskussion gelaufen.

Wenn man jetzt mal aus der Wikipedia die wörtliche Definition von Toleranz nimmt, hat das ja schon so etwas von dem „rechte/linke Wange“-Prinzip:

Toleranz (auch: Duldsamkeit; Gegenteil: Intoleranz) kommt vom lateinischen Verb tolerare – (von tolus „Last“) und bedeutet ursprünglich: ertragen, durchstehen, aushalten oder erdulden.

„Toleranz“ beschreibt die Fähigkeit, eine, generell alle oder – bis zur jeweiligen Toleranzschwelle – viele Formen des Andersseins oder Andershandelns, insbesondere Herkunft, Religion, Neigungen, Moral, Überzeugungen, zu dulden, also nicht zu bekämpfen.

Das „erdulden/ertragen“ stößt mir dabei etwas auf. Und ich bezweifle auch, daß das im allgemeinen Sprachgebrauch in dieser Bedeutung verwendet wird. Ich denke, da liegt man mehr bei einer Mischung aus Ignoranz und Akzeptanz.

Aber so oder so, Toleranz ist etwas subjektives, etwas persönliches, und nicht etwas, wofür man eine Gegenleistung fordert, nach dem Motto, ich toleriere dich und deine Werte, dein Verhalten, wenn du dafür die Klappe und dich brav an unsere Spielregeln hälst. Damit würde ich den anderen schon wieder ein Stück weit ändern wollen, ich toleriere ihn und sein Verhalten also nicht wirklich.

Wenn wie in dem Artikel das Beispiel gebracht wird, daß eine Kirche als Goodwill-Zeichen in eine Moschee umgewandelt wird, und dann ironisch gefragt wird, wann man denn erwarten kann, daß der umgekehrte Fall eintritt, dann hat das weder was mit Toleranz und schon gleich gar nichts mit Goodwill zu tun, sondern wäre ein schlichter Handel.

Toleranz kann man sicherlich auch als ein zweischneidiges Schwert sehen – gerade wenn man das mit dem „dulden/ertragen“ im Hinterkopf behält. Aber dafür kann man auch Grenzen setzen. Es ist ein Unterschied, ob ich jemanden sein persönliches Wertesystem lasse oder ob ich von dieser Toleranz auch mein Wertesystem beeinflussen lasse und ändere.

Von daher finde ich die Überschrift dieses Artikels schon gleich doppelt dämlich. Zum einen, weil sie impliziert, daß Toleranz nur ausgenutzt wird wenn man dafür nichts zurückbekommt, zum anderen, weil sie nicht in Betracht zieht, daß Toleranz nicht automatisch grenzenlos ist.